Die Bostoner Tea Party als Touristenvergnügen
Wer Boston, die europäischste aller US-amerikanischen Großstädte besucht, der besteigt auch den Nachbau des Segelschiffes ?Dartmouth?, das anno 1773 im Bostoner Hafen festgemacht hatte und hoch mit Teesäcken beladen war. Man bedenke: Damals waren die späteren USA eine britische Kolonie und die nach Nordamerika ausgewanderten Briten liebten ihren Tee nicht weniger, als die Briten daheim auf der Insel. Auf dem Segelschiff-Nachbau herrscht eine fast ununterbrochene Teeparty ? in langen Schlangen stehen die Touristen auf der Pier, um das Museumsschiff besichtigen zu dürfen. Hier sind Studentinnen und Studenten und Schauspieler/innen in Kostümen aus dem 18. Jahrhundert im Dauereinsatz, um jenes Ereignis nachzustellen, aus dem eine Weltmacht entstanden ist. Nämlich dem Versenken der Teesäcke im Bostoner Hafen, was stündlich für die Touristen nachgestellt wird: Ein großer Sack, wasserdicht umhüllt mit einer Kunststoffplane und gefüllt mit Stroh statt Tee, fliegt in hohem Bogen von Bord ? und das Volk jubelt.
Die Schauspieler/innen sprechen nur das Englisch des 18. Jahrhunderts. Fragt ein Tourist, was der Darsteller im bürgerlichen Leben macht, erhält er in einwandfreiem, historischen Englisch die Antwort: ?I am living in Birmingham and I am helmsman (Steuermann) on this ship!? Die zauberhafte junge Frau, die in schlichtem Wollkleid
ununterbrochen Kartoffeln schält, denn auch Seeleute müssen essen, lässt sich auch nicht auf einen abendlichen Drink einladen ? nein, die Szenen aus dem 18. Jahrhundert werden unerschütterlich gespielt, auf Scherze und Albernheiten geht man nicht ein ? schließlich gilt es ja, einen großen historischen Moment der Weltgeschichte darzustellen ? wenn auch im Ein-Stunden-Takt.
Um was ging es anno 1773 in Boston? England benötigte nach kräftezehrenden Kriegen gegen Frankreich, Österreich und Russland dringend neue Einnahmequellen. Zu diesem Zweck wurden den Kolonien Steuern auf Handelsgüter wie Papier, Blei und Tee auferlegt. Davon war auch Neuengland betroffen, das damals Teil der britischen Kolonien in Nordamerika war. Die Bürger von Boston, der größten Stadt Neuenglands, waren empört. Sie sollten Steuern zahlen, ohne jedoch einen eigenen Vertreter im englischen Parlament zu haben!
In einer kalten Winternacht eskalierte der Konflikt. Am Abend des 16. Dezember 1773 stürmten als Indianer verkleidete Bostoner Bürger die ?Dartmouth? und zwei weitere Schiffe der Ostindiengesellschaft, die kurz zuvor mit Tee beladen in den Hafen eingelaufen waren. Aus Protest gegen die von der englischen Krone auferlegten Repressalien und die zunehmende Unterdrückung warfen die Aufständischen die gesamte Teeladung über Bord. Diese Aktion bekam den Namen ?Boston Tea Party?. Dadurch verschärfte sich der Konflikt zwischen den Kolonien und England so sehr, dass es drei Jahre später zum Nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg kam. Man kann also sagen, dass mit dem Versenken von Tee Amerikas Weg in die Unabhängigkeit und der Aufstieg zur Weltmacht begann.
Foto: ?The Destruction of Tea at Boston Harbour?Lithographie von Nathaniel Currier (1848)